Eine Sammlung der Aphorismen aus Nietzsches Hauptwerk (und meinem Lieblingsbuch) „Also sprach Zarathustra“ (1883-1885), die mich berührten oder in denen ich zumindest ein Stück „meiner“ Wahrheit finden konnte:
Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken; des Andern Einsamkeit die Flucht vor den Kranken.
Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von euch gut reden wollt; und wenn ihr ihn verführt habt, gut von euch zu denken, denkt ihr selber gut von euch.
Noch hat die Menschheit kein Ziel. Aber wenn der Menschheit das Ziel noch fehlt, fehlt da nicht auch – sie selber noch?
Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. Auf, ihr Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne!
„Ich“ sagst du und bist stolz auf dieses Wort. Aber das Grössere ist, woran du nicht glauben willst, – dein Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich, aber thut Ich.
Hüte dich vor den Anfällen der Liebe! Zu schnell streckt der Einsame Dem die Hand entgegen, der ihm begegnet.
Die Menschen sind nicht gleich: so spricht die Gerechtigkeit.
Es ist mit dem Menschen wie mit dem Baume. Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben seine Wurzeln erdwärts, abwärts, in's Dunkle, Tiefe, – in's Böse.
Der Mensch nämlich ist das grausamste Thier. Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am wohlsten geworden auf Erden; und als er sich die Hölle erfand, siehe, da war das sein Himmel auf Erden.
Nicht, wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, steigt der Erkennende ungern in ihr Wasser.
Frei steht noch grossen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig besitzt, wird umso weniger besessen: gelobt sei die kleine Armuth!
Staat heisst das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: „Ich, der Staat, bin das Volk.“
Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit; nicht auf Einer Leiter stieg ich zur Höhe, wo mein Auge in meine Ferne schweift. Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen, – das gieng mir immer wider den Geschmack! Lieber fragte und versuchte ich die Wege selber.
Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher kann sich befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche!
Bettler sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man ärgert sich ihnen zu geben und, ärgert sich ihnen nicht zu geben.
Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der Einsamkeit ein Gefängniss.
Deine Nächsten werden immer giftige Fliegen sein; Das, was gross an dir ist, – das selber muss sie giftiger machen und immer fliegenhafter.
Welches Kind hätte nicht Grund, über seine Eltern zu weinen?
Alles, was viel bedacht wird, wird bedenklich.
Es giebt Manchen, der seinen letzten Werth wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf.
Die Demuth hat das härteste Fell.
Unser Glaube an Andre verräth, worin wir gerne an uns selber glauben möchten.
Nicht die Höhe: der Abhang ist das Furchtbare! Der Abhang, wo der Blick hinunter stürzt und die Hand hinauf greift.
Wir werden am schlimmsten von unsichtbaren Händen gebogen und gequält.
Wer in Blut und Sprüchen schreibt, der will nicht gelesen, sondern auswendig gelernt werden.
Man verlernt die Menschen, wenn man unter Menschen lebt: zu viel Vordergrund ist an allen Menschen, – was sollen da weitsichtige, weit-süchtige Augen!
Raserei der Vernunft war Gottähnlichkeit, und Zweifel Sünde. Allzugut kenne ich diese Gottähnlichen: sie wollen, dass an sie geglaubt werde, und Zweifel Sünde sei.
Wenig Werth hat Alles, was seinen Preis hat.
Lieber ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken!
Auch die hohlste Nuss will noch geknackt sein.
In der Bosheit begegnet sich der Übermüthige mit dem Schwächlinge. Aber sie missverstehen einander.
Das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen Vieler will: das ist nicht der Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang.
Mancher kann seine eignen Ketten nicht lösen und doch ist er dem Freunde ein Erlöser.
Nur wer weiss, wohin er fährt, weiss auch, welcher Wind gut und sein Fahrwind ist.
So manchen Klugen fand ich: der verschleierte sein Antlitz und trübte sein Wasser, dass Niemand ihm hindurch und hinunter sehe.
Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist mein Gutes und Böses.
Seht mir doch diese Überflüssigen! Reichthümer erwerben sie und werden ärmer damit. Macht wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, viel Geld, – diese Unvermögenden!
Sie (die Dichter) sind mir nicht reinlich genug: sie trüben Alle ihr Gewässer, dass es tief scheine.
Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich alles Grosse; abseits vom Markte und Ruhme wohnten von je die Erfinder neuer Werthe.
Es gibt so viel grosse Gedanken, die thun nicht mehr als ein Blasebalg: sie blasen auf und machen leerer.
Die Erde hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. Eine dieser Krankheiten heisst zum Beispiel: „Mensch.“
Viel zu Viele leben und viel zu lange hängen sie an ihren Ästen. Möchte ein Sturm kommen, der all diess Faule und Wurmfressne vom Baum schüttelt!
Ohnmacht zur Lüge ist lange noch nicht Liebe zur Wahrheit. Wer nicht lügen kann, weiss nicht, was Wahrheit ist.
Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eigenen Beine! Lasst euch nicht empor tragen, setzt euch nicht auf fremde Rücken und Köpfe! Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig hinauf zu deinem Ziele? Wohlan, mein Freund! Aber dein lahmer Fuss sitzt auch mit dir zu Pferde! Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem Pferde springst: auf deiner Höhe gerade, du höherer Mensch – wirst du stolpern!
Wer sich stets viel geschont hat, der kränkelt zuletzt an seiner vielen Schonung. Gelobt sei, was hart macht!
Denen, die die Welt von hinten sehen, – die Hinterweltler, denen sage ich in's Gesicht, ob es gleich nicht lieblich klingt: die Welt gleicht darin dem Menschen, dass sie einen Hintern hat, – so Viel ist wahr!
Der Lobende stellt sich, als gäbe er zurück, in Wahrheit aber will er mehr beschenkt sein!
Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht! Euer Wille und euer Fuss, der über euch selber hinaus will, – das mache eure neue Ehre!
Wo man nicht mehr lieben kann, da soll man – vorübergehn!
Die Liebe ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe zu Allem, wenn es nur lebt!
Wir lieben das Leben, nicht, weil wir an's Leben, sondern weil wir an's Lieben gewöhnt sind. Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber immer auch etwas Vernunft im Wahnsinn.
Ein Grausen überfiel mich, als ich diese Besten nackend sah: da wuchsen mir die Flügel, fortzuschweben in ferne Zukünfte. In fernere Zukünfte, in südlichere Süden, als je ein Bildner träumte: dorthin, wo Götter sich aller Kleider schämen!
Ach, wie übel ihnen das Wort „Tugend“ aus dem Munde läuft! Und wenn sie sagen: „ich bin gerecht,“ so klingt es immer gleich wie: „ich bin gerächt!“
Wer auf kranken und zarten Beinen steht, der will vor allem, ob er's weiss oder sich verbirgt: dass er geschont werde.
Der hässlichste Mensch hatte sich eine Krone aufgesetzt und zwei Purpurgürtel umgeschlungen, – denn er liebte es, gleich allen Hässlichen, sich zu verkleiden und schön zu thun.
Ich verwandle mich zu schnell: mein Heute widerlegt mein Gestern. Ich überspringe oft die Stufen, wenn ich steige, – das verzeiht mir keine Stufe. Bin ich oben, so finde ich mich immer allein. Niemand redet mit mir, der Frost der Einsamkeit macht mich zittern. Was will ich doch in der Höhe?
Von euch will der Eitle seinen Glauben an sich lernen; er nährt sich an euren Blicken, er frisst das Lob aus euren Händen. Euren Lügen glaubt er noch, wenn ihr gut über ihn lügt: denn im Tiefsten seufzt sein Herz: „was bin ich!“
Gewissensbisse erziehn zum Beissen.
Werde, der du bist!
Es gibt eine schlimme Falschheit bei Solchen, die über ihr Vermögen wollen.
Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Gläsern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.
Es gehört mehr Muth dazu, ein Ende zu machen, als einen neuen Vers: das wissen alle Ärzte und Dichter.
So ist es immer schwacher Menschen Art: sie verlieren sich auf ihren Wegen. Und zuletzt fragt noch ihre Müdigkeit: „wozu giengen wir jemals Wege! Es ist Alles gleich!“
Viel zu Viele werden geboren: für die Überflüssigen ward der Staat erfunden! Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vielen! Wie er sie erschlingt und kaut und wiederkäut!
„Das – ist nun mein Weg, – wo ist der eure?“ so antwortete ich Denen, welche mich „nach dem Wege“ fragten. Den Weg nämlich – den giebt es nicht!
Das Leben ist schwer zu tragen: aber thut mir doch nicht so zärtlich! Wir sind allesammt hübsche lastbare Esel und Eselinnen.
Ich bin ein Geländer am Strome: fasse mich, wer mich fassen kann! Eure Krücke aber bin ich nicht.
Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber.
Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen und Schauspieler wider Willen -, die Ächten sind immer selten, sonderlich die ächten Schauspieler.
Kirche – das ist eine Art von Staat, und zwar die verlogenste.
Viele sterben zu spät, und Einige sterben zu früh. Noch klingt fremd die Lehre: „stirb zur rechten Zeit!“
Mich ekelt dieser grossen Stadt. Hier und dort ist Nichts zu bessern, Nichts zu bösern. Wehe dieser grossen Stadt! – Und ich wollte, ich sähe schon die Feuersäule, in der sie verbrannt wird!
Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauerspiele? Wo aber Stolz verletzt wird, da wächst wohl etwas Besseres noch, als Stolz ist.
Sie lauern einander auf, sie lauern einander Etwas ab, – das heissen sie „gute Nachbarschaft.“
Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schüler bleibt.
Und auch ihr, denen das Leben wilde Arbeit und Unruhe ist: seid ihr nicht sehr müde des Lebens? Seid ihr nicht sehr reif für die Predigt des Todes? Ihr Alle, denen die wilde Arbeit lieb ist und das Schnelle, Neue, Fremde, – ihr ertragt euch schlecht, euer Fleiss ist Flucht und Wille, sich selber zu vergessen. Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, würdert ihr weniger euch dem Augenblick hinwerfen. Aber ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch – und selbst zur Faulheit nicht!
Voll ist die Erde von Überflüssigen, verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-Vielen.
Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste Hoffnung. Und nun verleumdeten sie alle hohen Hoffnungen. Nun lebten sie frech in kurzen Lüsten, und über den Tag hin warfen sie kaum noch Ziele.