Die Kunst ist die Vermittlerin des Unaussprechlichen. (Johann Wolfgang von Goethe)
Hier nun meine Definition von Kunst:
„Kunst ist der Schöpfergeist des Menschen, mit dem er sein Wissen von der Welt und sein Wissen davon im Speziellen (Liebe, Missstände, Zeitgeschichtliches etc.) in Form des Sinnlichen mit deskriptiven, visionären oder normativen Charaker zur Anschauung bringt. Im Umkehrschluss ist in einem Kunstwerk das Wissen des Künstlers von der Welt mit seinen damit verbundenen Empfindungen (Leidenschaften, Ideale etc.) abzulesen. Somit wird nicht jedes kreative Schaffen automatisch zum Kunstwerk; genau dann nicht, wenn das Werk die konkrete Sinnlichkeit nicht in sich trägt oder keinen deskriptiven, visionären oder normativen Charakter hat, wobei den beiden letzteren ein größeres Gewicht beizumessen ist, da sie eine gesellschaftliche oder zeitgenössische Vorreiterposition einnehmen können.“
Wenn ich also sage: „In dem Werk steckt Kunst“ oder „das ist ein Kunstwerk“, meine ich, dass genau der oben beschriebene Schöpfergeist in dem Werk innewohnt, wobei folgende Unterscheidungen getroffen werden können:
- Kunst mit deskriptiven Charakter: die Sicht des Künstler auf die Welt, so wie er sie vorfindet. Hier spielen vor allem das handwerkliche Geschick und die Interpretationsfähigkeit des Künstlers eine tragende Rolle.Natürlich sind diese Wesensarten nicht strikt von einander zu trennen, sondern bilden gerade und ausschließlich als Mischform den Gesamtcharakter des Kunstwerks. Es ist dann auch nicht möglich, diesen Gesamtcharakter eines Kunstwerks quantitativ in seine Wesensarten zu unterteilen, deren Summe dann hundert Prozent ergeben soll. Sie sind sowohl inkommensurabel als auch interdependent und als Ganzes viel mehr als nur ihre Summe.
- Kunst mit visionären Charakter: die Sicht des Künstler auf die Welt, so wie er sie sich wünscht oder vorhersagt. Hier stehen seine Träume, Visionen und Emotionen im Vordergrund.
- Kunst mit normativen Charakter: die Sicht des Künstler auf die Welt, so wie sie seiner Meinung nach sein sollte. Hier werden hauptsächlich das Gesamtverständnis des Künstlers von der Welt und seine daraus resultierenden Ideale präsent.
Diese Betrachtungsweise zwingt zur Schlussfolgerung, dass Kunst keinen messbaren Wert besitzt. Die immens hohen Geldbeträge, die besonders den Werken bedeutender Künstler zugesprochen werden, ergeben sich hauptsächlich aus externen, zeitsensitiven ökonomischen Aspekten und werden getragen von der Sammelleidenschaft bzw. -sucht so genannter Kunstliebhaber bis hin zu ihrer Eitelkeit, das Werk „um jeden Preis“ besitzen zu müssen. Trophäensammler verstehen sich im Jagen und nur höchst selten auch was von Kunst, so entspringt jenes doch den primitiven Instinkten des Menschen im Gegensatz zur Kunst, die viel mehr sublim auf den höher entwickelten Geist wirkt.
Durch Werke, die nur aus wirtschaftlichem Interesse erstellt werden, wird die Kunst schlichtweg pervertiert. Kunst hat immer einen kommunikativen Charakter, kann Wegbegleiter bis hin zum Teil oder Erweiterung eines Selbst werden, aber sollte nie bloß Mittel zum niederen Zweck sein, z.B. Triebfeder einer Geldgier oder Sublimierung einer Geltungsbedürftigkeit.
Ferner sei noch ein erkenntnistheoretischer Aspekt zu erwähnen: Liegt die Kunst im Auge des Betrachters und wird erst beim Erkennen derselben existent (subjetive Position) oder trägt das Werk bei Fertigstellung schon die Kunst in sich und kann für jeden prinzipiell erkennbar sein (objektive Position)?
Die Frage sollte am besten jeder für sich beantworten...
Kunst hat mit Geschmack nichts zu tun, Kunst ist nicht da, dass man sie schmecke. (Max Ernst, deutscher Maler und Bildhauer)
Norbert Schultheis, Bonn, 2006